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Reisen in Zeiten von Corona

Meine erste Geschäftsreise seit der Quarantäne als Selbstversuch: Maskenpflicht, Abstandsregeln, leere Bahnhöfe. Wie fühlt es sich an, wenn plötzlich alles auf Distanz ausgerichtet ist?

Der Bauch hat immer Recht. Mein Bauchgefühl ist ein wichtiger und verlässlicher Kompass für mich – in meinem Leben und bei meiner Arbeit. Wenn ich mit meinen Kundinnen und Kunden das erste Mal über ein mögliches Tourismusprojekt spreche, dann spüren wir immer zuerst einmal nach, was denn unser Bauchgefühl spontan dazu sagt. Und es beschert uns stets eine gute Startbasis und Orientierung. Aber was sagt mein Bauchgefühl jetzt, in Zeiten von Corona? Wir fühlt es sich an, wenn bekanntes Terrain plötzlich zu völligem Neuland wird?

Nach einem wunderbar produktiven Tag, an dem wir uns alle an die neue Abstandsetikette halten, nütze ich die Heimfahrt um hinter meiner Maske über diese kleine Reise zu reflektieren. Dabei fällt mir als erstes ein Modell aus meiner Studienzeit ein, die Customer Journey von Reisenden, wie sie hier von der Reiseanalyse.de so übersichtlich dargestellt wird. Wenn ich also jetzt dieses Modell heranziehe, wie sieht dann meine persönliche Customer Journey heute aus?

 

 

Vor der Reise: Die Vorbereitung

Der Termin ist fix: Dienstag, 10:00Uhr in Linz. Der Gedanke Menschen wieder in 3D zu begegnen ist schön. Doch dann beginnt sofort ein Planungsprozess, denn mir schießen sofort tausend Gedanken durch den Kopf. Wie waren nochmal die genauen gesetzlichen Bestimmungen für Reisen und Meetings? Ist der Raum groß genug für 6 Personen? Wie wird die Begrüßung ablaufen? Wie komme ich nach Linz? Zug oder Auto? Wie komme ich zum Bahnhof? Öffis oder Taxi? Der Bauch meldet sich zum ersten Mal mit Unsicherheit zu Wort, und das bei einem Thema über das ich sonst nicht einmal nachdenke. Üblicherweise fahre ich öffentlich und mit dem Zug wann immer es möglich ist. Platz ist in der kleinsten Hütte, wie man so schön sagt, und auch das Team ist mir nicht fremd, also gibt es Begrüßungsrituale die intuitiv ablaufen. Doch jetzt gibt es plötzlich eine unsichtbare und dennoch sehr präsente Begleiterin auf Schritt und Tritt, Madame Corona. Und Madame hat ein Gefolge aus Unsicherheiten, das sie ständig umringt. Somit ist also jede Reise plötzlich eine Gruppenreise, und das ist nicht ohne Tücken, wie die Kolleg*innen aus der Reisebranche bestätigen werden.

Nachdem ich eine Person mit hohem Risiko in meiner unmittelbaren Familie habe, rät mein Bauch zur Vorsicht. Mit dem Zug fahren, fein, aber mit den Öffis bis zum Bahnhof ist eine andere Geschichte. Ich rechne kurz hoch wie vielen Menschen ich in U- und S-Bahn begegnen könnte. Der Bauch sagt zu vielen, also fahre ich mit dem Auto zum Bahnhof.

 

Unterwegs: Das Erlebnis

Bevor ich die Wohnung verlasse, noch einmal ein kurzer Check ob ich alles dabei habe. Computer und Unterlagen, check. Schlüssel und Geldbörse, check. Ach ja, da war ja noch was: Maske, check.

Noch in der Park and Ride Garage setze ich die Maske auf. Der Bahnhof ist so gut wie menschenleer und fast alle Geschäfte sind geschlossen. Beim Einsteigen in den Zug dann das nächste Unbehagen. Geht es sich mit dem Abstand aus, wenn es voll wird? Ja, es geht sich aus. Der Zug ist bei weitem nicht voll, und die Reise soweit ganz angenehm – bis auf die störende Maske. Nicht nur, dass es darunter recht schnell heiß und muffig wird, als Brillenträgerin hat man zusätzlich das Problem, dass die Augengläser ständig anlaufen. Dazu habe ich das Gefühl, dass mein Sichtfeld eingeschränkt ist.

Was mich aber am meisten stört ist, dass ich die Menschen nicht mehr lächeln sehe. Als der Schaffner kommt, kann er nur mit viel Wohlwollen erahnen, dass ich ihn vermutlich freundlich ansehe. Meinem Handy fehlt dieses Wohlwollen, denn es erkennt mich mit Maske gar nicht, und ich muss mit meinem Code beweisen, dass wirklich ich es bin, die hier ihre Fahrkarte vorzeigen will. Obwohl alles reibungslos abläuft fühle ich mich eingeschränkt.

Am Bahnhof in Linz höre ich plötzlich eine Stimme neben mir. Es ist eine Bekannte, die gerade meinen Post mit Maske auf Facebook gesehen hat. Ich habe große Schwierigkeiten Menschen mit Maske zu erkennen, und ich vermute einmal, dass es ihr ohne die Unterstützung von Social Media auch nicht gelungen wäre, mich aus der Ferne zu identifizieren. Das kurze Gespräch führen wir mit dem vorgeschriebenen Abstand und achten dabei darauf anderen Reisenden entsprechend auszuweichen.

Punkt 10:00Uhr treffen alle zum Meeting ein. Es ist schön sich endlich wieder persönlich zu sehen. Zwischen uns scheint allerdings eine unsichtbare Wand zu stehen. Der Raum ist gefühlt viel zu groß für 6 Leute, aber Madame Corona und ihr Gefolge füllen ihn letztendlich aus. In den Kaffeepausen schart sich nicht wie üblich ein Grüppchen um die Kaffeemaschine und man kommt ins Plaudern. Man stellt sich zivilisiert, ruhig und mit genügend Abstand in die Warteschlange, obwohl nie mehr als drei Personen anstehen. In der Mittagspause bleibt die Küche kalt. Es gibt ausgezeichnetes Essen „to go“ vom thailändischen Lokal in der Nähe, das die Kollegen zur ausgemachten Uhrzeit abholen. Auch für Tischgespräche ist ein Meter ein eher unangenehmer Abstand.

 

Nach der Reise: Die Reflexion

Mein Fazit: Madame Corona und ihre Entourage fahren ab sofort und auf unbestimmte Zeit immer mit. Ich kann mich aber entscheiden sie als Wegbegleiterin einzuladen, anstatt sie ständig abhängen zu wollen.

Wenn ich mich schon auf einer beruflichen Reise durch sie beeinträchtigt fühle, wie wird es sich dann erst auf einer Urlaubsreise anfühlen? Wo doch der Urlaub für viele eine Zeit der Freiheit und Sorglosigkeit ist. Wie werde ich anderen Menschen begegnen und sie kennen lernen können? Und wie wird es für all die Menschen sein, die sich in ihren Berufen jeden Tag um das Wohl ihrer Gäste bemühen?

All das werden wir erst dann Schritt für Schritt erfühlen können, wenn das Reisen wieder langsam möglich wird. Ich wünsche mir allerdings sehr, dass wir bei allem Streben nach einem „Normalzustand“ unser Bauchgefühl nicht ignorieren. Wenn wir es zulassen, kann es nämlich ein wertvoller Wegweiser sein, hin zu einer Art des Reisens und der Begegnung die für alle Beteiligten angenehm ist. Wenn uns die Krise eines gezeigt hat, dass ist es die Bedeutung von Beziehungen in unserem Leben. Und gerade der Tourismus verbindet die Welt und uns Menschen durch unzählige Beziehungen zueinander und zur Natur. Und an diese verbindenden Elemente möchte ich mich erinnern, selbst wenn es bedeutet, dass ich Madame Corona und ihre Gefährt*innen in jede Beziehung einbinden muss.